Es war der fünfte Dezember. Sinterklaas und Piet waren schon früh geweckt worden. Das Pferd hatte laut gewiehert und mit den Hufen gestampft. Draußen war es ungemütlich, es war dunkel und es regnete, während der Wind um die Ecken der Häuser pfiff.
Piet war dabei, einen starken Kaffee zu machen, als Sinterklaas brummelnd in die Küche kam. Er hatte schlechte Laune, was bei ihm nur selten vorkam. Und heute, am Tag vor seinem Geburtstag, war das sogar sehr ungewöhnlich.
“Brrrr!”, sagte er, “wenn ich daran denke, dass wir heute Abend durch das ganze Land reiten müssen, bei dem Wetter!”
Piet wusste, dass er besser nichts sagte. Meistens hob sich Sinterklaas´ Laune nach dem ersten Kaffee von allein. Aber dieses Mal grummelte er weiter und schimpfte mit Piet, der eine große Pfütze Kaffee auf den Tisch gekleckert hatte.
“Mensch, Pieter, ich habe es satt! Ich möchte nicht die ganze Nacht hindurch Geschenke wegbringen und Kinderlieder anhören müssen. Ich hau ab, soll doch die Post die Pakete morgen zu den Leuten bringen! Komm, wir packen unsere Sachen und fliegen nach Ibiza. Ich feiere meinen Geburtstag dieses Mal ganz in Ruhe am Strand!”
Piet wollte noch etwas sagen, aber Sinterklaas trieb ihn an:
“Nun mal dalli, mein Junge! Packe alles in die grünen Koffer und bestelle ein Taxi. Wir verreisen!”
Am Flughafen war einiges los, anscheinend wollten viele Leute die kalte Jahreszeit auf einer schönen Insel in der Sonne verbringen. Überall rannten Reisende herum und suchten den Ausgang zu ihrem Flugzeug oder wühlten in ihren Koffern und Taschen. Durch den Lautsprecher wurden ständig die nächsten Flüge angesagt und Suchmeldungen durchgegeben. Piet fühlte sich nicht sehr wohl in dem Gewühle. Viele Leute starrten ihn und Sinterklaas an, weil sie vergessen hatten, Urlaubskleidung anzuziehen. Piet trug wie immer seinen bunten Anzug mit der kurzen Hose und dem großen Federbarett, Sinterklaas lief im langen, roten Mantel herum, die Bischofsmütze auf dem Kopf und den Hirtenstab in der Hand. Die Eltern zeigten ihren kleinen Kindern, dass Sinterklaas vorbeilief, und manche Kinder riefen: “Piet, Piet!” und: “Sinterklaas!” Das waren Kinder aus den Niederlanden. Sie erwarteten, dass Sinterklaas und Piet ihnen in der Nacht Geschenke bringen würden.
Um keine Zeit zu verlieren, eilte Sinterklaas zu einem Schalter und bat um zwei Tickets nach Ibiza. Die junge Frau hinter dem Tresen schaute auf. Ihr blieb zuerst der Mund offenstehen, als sie sah, wer da vor ihr stand. Dann stammelte sie:
“A... a... aber... Aber sie sind doch Sinterklaas!”
“Sicher” antwortete dieser. “Ich bin Sinterklaas und möchte jetzt sofort nach Ibiza.”
Die Frau wusste zuerst nicht, was sie sagen sollte. Ihr gingen so viele Fragen und Gedanken durch den Kopf, dass sie wieder anfing zu stottern:
“Sie...Sie... Aber sie... Aber heute ist doch...”
“Heute ist der fünfte Dezember und ich möchte nach Ibiza”, sagte Sinterklaas. Die ganze Zeit hatte Piet hinter ihm gestanden und nicht richtig gewusst, ob er einfach so tun sollte, als ob er nichts hörte und nichts begriff, oder ob er dem Sinterklaas helfen musste. Die Koffer zogen allmählich so schwer an seine Arme, dass er sie gerne abgestellt hätte.
“Nach Ibiza?”, fragte jetzt die Frau.
“Ja, zwei Tickets nach Ibiza”, sagte Sinterklaas.
Die Frau schien es immer noch nicht glauben zu wollen.
“Und was ist mit den Kindern? Was ist mit den Kindern und mit den Geschenken? Wer bringt die denn hin?”
Sinterklaas wurde unsicher. Es war ihm peinlich, erklären zu müssen, dass er keine Lust hatte, nachts durch die Gegend zu ziehen und überall Geschenke vorbei zu bringen. Schließlich hatte er das bis dahin alle Jahre wieder getan, schon seit undenklichen Zeiten. Er drehte sich um zum Piet und wollte bei ihm Unterstützung holen:
“Nicht wahr, Piet, wir haben doch beschlossen, dass wir in diesem Jahr...”
Aber Piet war verschwunden. Einfach weg, nicht mehr zu sehen, unauffindbar.
An seinem Platz stand ein kleines Mädchen und lächelte Sinterklaas an. Sie hielt ein Päckchen in der einen Hand und eine Puppe in der anderen.
“Du, bist du Sinterklaas?”
Sinterklaas war zu verblüfft, um gleich antworten zu können. Er starrte das Kind an und wunderte sich, dass Piet nicht mehr dastand.
“Du”, beharrte das Mädchen, “du bist doch Sinterklaas?”
Da schaute Sinterklaas dem Mädchen ins Gesicht. Er sah, wie es unsicher wurde, weil er immer noch nicht reagiert hatte. Er konnte es nicht einfach so stehen lassen.
“Doch, ich bin Sinterklaas”, sagte er.
Das Mädchen strahlte übers ganze Gesicht, als sie hörte, dass der echte Sinterklaas vor ihr stand.
“Toll!”, rief sie. “Ich habe dich vorhin schon gesehen, aber meine Mutter sagte, dass du nur ein verkleideter Mann vom Flughafen wärst. Ich wusste gleich, dass das nicht stimmt.”
Sinterklaas wusste nicht recht, was er tun sollte. Einige Leute wollten zum Schalter, um ihre Tickets zu holen, mochten aber nicht einfach vordrängeln. Und er blockierte mit den beiden Koffern den Zugang.
“Wo willst du hin?”, fragte das Mädchen.
Es blieb Sinterklaas nichts anderes über. Er stellte die Koffer zur Seite und setzte sich darauf. Die Leute schoben weiter zum Schalter. Damit war die Chance vertan, dachte Sinterklaas, nun konnte er nicht mehr einfach abhauen. Er schaute in die Runde, ob Piet nicht irgendwo auftauchte, aber der war nirgends zu sehen. Dann wandte er sich dem Mädchen wieder zu und sagte:
“Ähhh... tja... also... weißt du...”
“Nee”, sagte sie, “weiß ich nicht. Aber wenn du wegfährst, wer bringt denn die ganzen Geschenke?”
Sie schaute ihn erwartungsvoll an. Ihm fiel keine gute Ausrede ein. Es gab auch gar keine.
“Also, die bringe ich natürlich”, antwortete er deshalb.
“Fährst du denn nicht weg?”, fragte das Mädchen.
“Nein, nein! Ich wollte nur schon für übermorgen buchen”, log Sinterklaas. Unter seinem Bart wurde er knallrot. Ihm wurde warm und er hoffte, dass Piet doch gleich zurückkommen würde.
“Ach so”, sagte das Mädchen, “das ist was anderes”.
“Wie heißt du denn?”, fragte Sinterklaas, um sie abzulenken.
“Mona”.
“Aha”, sagte Sinterklaas. Ihm war immer noch etwas mulmig zumute. “Und wie alt bist du?”
“Ich bin sieben. Aber morgen werde ich acht. Ich habe mit dir zusammen Geburtstag”.
“Das ist ein Zufall!”, rief Sinterklaas. “Gratuliere!” Er streckte seine rechte Hand aus. Das Mädchen schlug ein und sagte:
“Weißt du was, ich schenke dir das hier. Eigentlich ist es für mich, aber Mama hat bestimmt nichts dagegen, dass ich dir etwas schenke. Du bekommst sonst ja nichts. Du gibst den anderen an deinem Geburtstag immer Geschenke und selbst kriegst du keine. Hier”.
Sie drückte ihm das Päckchen in die Hand und sagte noch:
“Aber erst morgen aufmachen!”
Dann lief sie weg, zu einer langen Schlange an einem anderen Schalter. Dort stellte sie sich neben eine Frau und fing an, mit ihr zu reden. Sie zeigte auf Sinterklaas und winkte ihm zu. Er winkte zurück und die Frau lächelte und winkte auch. Sie strich dem Mädchen über den Kopf und sagte ihr etwas. Mona schaute hoch und der Sinterklaas konnte sehen, wie sie sich mit ihrer Mutter stritt.
“Ich wette, dass die nicht glaubt, dass ich Sinterklaas bin”, dachte er. Als Mona wieder zu ihm hinschaute, nickte er ihr ermutigend zu. Mona winkte und warf ihm einen Kusshand zu. Sinterklaas wurde es warm ums Herz. Aber bevor er in schöne Träumereien versinken konnte, wurde er von Piet gestört, der ihn auf die Schulter klopfte.
“Wo warst du denn?”, fragte er Piet.
“Ich musste mal”, sagte der, “und weil du nicht hören wolltest...”
“Nun ja”, meinte Sinterklaas, “komm, wir müssen zurück, es gibt noch viel zu tun”.
Piet verstand nicht, weshalb es nun plötzlich wieder nach Hause gehen sollte, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als Sinterklaas zu folgen, der zielstrebig auf den Ausgang zulief und alle Menschen grüßte, die stehen blieben. Piet fiel ein Stein vom Herzen. Das war nochmal gut gegangen. So erkannte er den guten alten Sinterklaas wieder.
Und obwohl das Wetter sich nicht ein bisschen gebessert hatte, pfiff er ein Sinterklaaslied vor sich hin und überlegte, was er Sinterklaas wohl schenken könnte.
© 2006 Rodion Farjon