Eine ganz normale Straße am Rande eines Ortes; an der einen Seite Einfamilienhäuser, an der anderen Straßenseite Ackerland, durch einen Graben und Buschwerk von der Straße getrennt. Der Graben führt nur selten Wasser, ist gefüllt mit abgestorbenen Zweigen, Laub und Müll, der überwiegend durch den Wind herangetragen wurde. Es ist nieseliges Herbstwetter, mit bedecktem Himmel und fast durchgehendem leichtem Regen.
Aus der Tür eines der Häuser kommt ein Hund. Er ist angeleint und ihm folgt ein Mann. Der Mann spannt einen Regenschirm auf und Hund und Herrchen beginnen einen Spaziergang. Es geht der Straße an der unbebauten Seite entlang. Es ist mehr ein Schlendern als ein Spazieren. Der Hund bleibt immer wieder stehen und schnüffelt im Gras herum. Dort sind anscheinend viele Botschaften zu erschnüffeln, hinterlegt von Hunden und von anderen Tieren. Gelegentlich hinterlässt der Hund seinerseits eine Botschaft, bevor beide weitertrotten.
Weder der Man, noch sein Hund lassen sich ablenken. Der Mann wartet geduldig, bis der Hund alle Nachrichten erschnüffelt hat und geht dann mit ihm am Straßenrand weiter. Zwischendurch schaut er sich um, vielleicht in der Hoffnung, ein zweiter Hundebesitzer ist ebenfalls unterwegs.
Der Hund hockt sich hin, um sein Geschäft zu machen, worauf der mann ihm den Rücken zukehrt. Ob das aus Diskretion oder aus leichtem Ekel geschieht lässt sich nicht sagen. Als der Hund fertig ist, zieht der Mann eine Plastiktüte aus der Jackentasche und sammelt die Exkremente ein. Die Tüte verschwindet in einem Leinenbeutel, den der Mann mit sich trägt. Sein Gesicht ist ausdruckslos, so wie beim ganzen bisherigen Spaziergang. Ein Auto fährt vorbei und die Fahrerin hupt zweimal schnell hintereinander zum Gruß, worauf der Mann die Hand mit dem Schirm hebt. Der Hund schaut hoch und bleibt stehen, setzt aber gleich darauf den Spaziergang mit seinem Herrchen fort. Zu den Feldern hin öffnet sich ein Durchgang über den Graben und ein Feldweg fängt an. Die Beiden biegen dort ein und wandern jetzt durch die Felder, die abgeerntet und gepflügt sind. Alles macht einen verlassenen und kahlen Eindruck. Kein Strauch säumt den Feldweg. In der Ferne kommt ihnen eine Person auf einem Fahrrad entgegen, jedoch ohne Hund. Es ist ein Mann, der sich gebeugt gegen den Regen stemmt und keinen Blick in die Landschaft wirft. Er umrundet die tiefsten Pfützen und scheint damit so beschäftigt, dass er erst kurz vor der Begegnung mit dem Mann mit Hund aufschaut. Dann fährt er mit einem gebrummten Gruß vorüber. Der Mann mit dem Hund ist stehen geblieben und hat seinen Hund den Befehl gegeben, sich zu setzen. Als der Radfahrer vorbei ist, lässt er den Hund von der Leine und setzt sich wortlos wieder in Bewegung. Der Hund steht auf und folgt ihm.
Nach etwa einem Kilometer beginnt an einer Kreuzung ein Waldstück. Der kreuzende Weg verläuft am Waldrand entlang in Richtung eines Hofes. Hierhin richtet der Mann seine Schritte. Ein kleines Stück waldeinwärts schlägt ein Eichelhäher Alarm. Es hat inzwischen aufgehört zu regnen, was der Mann zum Anlass nimmt, den Regenschirm zusammen zu falten. Seine Laune scheint sich etwas zu heben, denn er nimmt einen Stock und wirft ihn voraus, um seinen Hund hinterher jagen zu lassen. Der reagiert jedoch nicht und trottet phlegmatisch weiter. Er hat ein Alter erreicht, in dem es schon etwas mehr braucht, um ihn zum Jagen zu reizen. Sein Herrchen zeigt Verständnis und streichelt den Hund über den Kopf. Sie sind über die Jahre ein eingespieltes Team geworden. Beide brauchen keine große Aufregung und sind mit dem Status Quo anscheinend sehr zufrieden.
Eins ist aber nach wievor ein Grund zur Aufregung, und das ist der Hund auf dem Hof, an dem sie vorbeikommen. Von der ersten Begegnung an haben sich beide Hunde nicht gemocht, und es gab schon heftige Kämpfe. Der Mann leint seinen Hund immer in einem größeren Abstand von dem Hof an. Aber wenn der Hofhund nicht angeleint ist und das Gatter offen steht, ist eine Begegnung nicht zu vermeiden. Dann hilft nur die Drohung mit dem Schirm oder mit einem Stock, bis der Landwirt seinen Hund zurückpfeift. Der Bauer ist ein sturer Bock, der wohl auf dem Standpunkt steht, dass andere Leute dort nichts zu melden haben. Er begegnet den Spaziergängern aus dem Ort mit einer herablassenden Gleichgültigkeit, die wohl zum Ausdruck bringen soll, dass er sie als Eindringlinge in seinem Revier betrachtet. Und Hundehalter sind eine potentielle Bedrohung für die Rehe, Hasen und Fasane in seinem Jagdrevier. Er hat sicherlich auch seine Erfahrungen gemacht mit Hundehaltern, die nicht einsehen wollen, dass in der Setzzeit eine Anleinpflicht besteht, immer nach dem Motto, der Hund tue ja nichts und gehorche aufs Wort.
Diesmal ist der Hofhund wohl drinnen. Es gibt jedenfalls kein wütendes Gebelle. Somit passieren sie den Hof und wandern weiter. Der Mann lässt den Hund wieder von der Leine. Die Neugier des Hundes scheint inzwischen zum Großteil befriedigt, denn er schnüffelt nur noch gelegentlich im Gras herum. Vielleicht liegen die „Briefkästen“ hier auch weiter auseinander und sind nicht so prall mit neuen Nachrichten gefüllt. Der Weg verläuft in einem Bogen nach links und trifft auf einen anderen Feldweg, der vom Wald wegführt. Der Weg ist mit Betonplatten befestigt. Da die Felder erst vor kürzem bearbeitet wurden, liegt noch viel Erde, die von den Treckerreifen zurückgelassen wurde, auf dem Weg. Der führt in eine Senke, in der ein kleiner See liegt, umringt von morastigem Terrain mit Schilf und Weidensträuchern. Um den Weg anlegen zu können wurde ein Sanddamm durch das moorige Gelände gebaut. Links und rechts verläuft ein Graben, der jetzt viel Wasser führt. Der Hund sucht eine Stelle, an der er leicht ans Wasser kommt und trinkt. Der Mann geht inzwischen langsam weiter. Er weiß, dass der Hund sich nicht die Mühe macht, ihn im Lauf einzuholen, sondern einfach ein Stück zurückbleibt. Und so gehen sie dann auch eine Weile mit Abstand weiter. Auf dem See dümpeln ein paar Enten und ein Blässhuhn schwimmt kopfnickend am Schilf entlang.
Die Wolkendecke bricht auf und lässt einige Sonnenstrahlen durch. Am Rande des Weges steht eine Bank mit Ausblick auf den See. Der Mann setzt sich hin und der Hund schließt auf. Sein Herrchen streichelt ihn üner den Rücken und brummt einige Worte. Der Hund dreht den Kopf und schaut ihn an. Er hechelt. Vom Gehen ist ihm warm geworden. Nach kurzer Zeit legt er sich hin und wartet, was passieren wird. Der Mann holt eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug hervor und zündet eine Zigarette an. Der Rauch verweht in der leichten Brise. Das Blässhuhn lässt seinen hellen Ruf hören. Ansonsten ist es still. So vergeht einige Zeit. Dann taucht an der anderen Seite vom See ein Reh auf. Vorsichtig schaut es sich um und läuft dann am Ufer entlang. Als es den Mann und den Hund bemerkt stockt es, um dann mit ein paar Sprüngen in dem Schilfmeer zu verschwinden. Der Hund ist aufgestanden, aber bewegt sich nicht weiter. Sein Herrchen bedeutet ihm, dass er sich hinlegen soll und der Hund gehorcht.
Dann treten sie das letzte Stück des Spazierganges an. Der Mann hat den Hund wieder angeleint. Mit gemächlichem Tempo wandern beide dem Weg entlang in Richtung des Ortes. Links und rechts liegen wieder gepflügte Felder, am Wegesrand wächst nur Gras. Der Hund hebt einmal noch das Bein, aber das scheint mehr aus Routine zu sein als aus dem Bedürfnis, die Blase zu leeren. An der Straße angekommen wenden sie sich dem Haus zu, aus dem beide gekommen sind um den Spaziergang anzufangen. Die Straße ist leer, in den Gärten herrscht Ruhe. Das Regenwetter hält die Anwohner von der Gartenarbeit ab, die Rasenroboter bleiben in der Garage. Der Mann und sein Hund sind weiterhin die einzigen Bewohner, die draußen sind. Der Hund ist merklich ermüdet, er hechelt stark und lässt den Kopf hängen. Langsam gehen sie der Straße entlang. Dann erreichen sie ihr Ziel. Durch den Vorgarten gehen sie zur Tür. Der Mann schließt auf und sie gehen hinein.
© 2021 Rodion Farjon