„Oh, oh, das verspricht nichts Gutes,“ machte sich Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach bemerkbar. Sie steckte bis zu den Schultern in einer Öffnung des Bretterzaunes. Ihre Stimme klang etwas gepresst und sie atmete angestrengt. In der gebückten Haltung, die sie einnehmen musste, um sich durch die Öffnung zu zwängen, bot sie einen nicht alltäglichen Anblick. Polizeikommissar Fuchs musste sich beherrschen, um dem Impuls zu widerstehen, ihr einen Klaps auf den Po zu geben. Einerseits musste er über die Eingebung lachen, andererseits war es ihm auch bewusst, dass dieser Impuls absolut nicht akzeptabel war.
Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach befreite ihren Oberkörper aus der Öffnung und holte tief Luft: „Das sieht gar nicht gut aus.“ Sie drehte sich dem Polizeikommissar Fuchs zu: „Das gibt Arbeit.“ Sie machte aber keinen Platz, so, dass Polizeikommissar Fuchs keine Gelegenheit hatte, zu sehen, was es denn war, das für Arbeit sorgen würde. Er versuchte, an ihr vorbei einen Blick durch die Öffnung zu werfen, aber ihm blieb verborgen, was an der anderen Seite des Zaunes zu sehen war.
„Was tun wir jetzt?“, fragte er deshalb. Er hatte keine große Lust, den Polizeiapparat in Bewegung zu setzen. Ihm war es am liebsten, die Sache ließe sich unter der Hand regeln. Das ersparte die unweigerlich anfallende Schreiberei, sobald offiziell eingeschritten wurde. Aber diesmal schien wohl kein Weg daran vorbeizuführen. Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach griff nach ihrem Telefon, um die nötigen Maßnahmen einzuleiten. Mit dem Telefon am Ohr schritt sie in Richtung des Polizeiautos und machte so den Weg frei für Polizeikommissar Fuchs, der die Chance wahrnahm, um sich genauer anzusehen, was sich hinter dem Zaun abspielte. Er passte jedoch mit den Schultern nicht durch das Loch und hatte somit nur eine eingeschränkte Sicht auf das Geschehen.
Zwischen Brombeeren und hohem Gras lagen einige Kleidungsstücke. Er erkannte einen langen, weißen Strumpf, in dem ein Fuß steckte, ein weißes Hemdchen und etwas wie eine Tasche. Die restlichen Kleidungsstücke lagen zusammengerollt bei der Tasche, als wären sie herausgefallen.
„Oha! Das sieht tatsächlich nicht gut aus,“ dachte er. Inzwischen war Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach wieder an den Zaun gekommen. „Ja, Kleidungsstücke einer weiblichen Person, so zu sehen blutbefleckt. Nee, keine Person zu sehen, nur eine Tasche. Ja, habe ich schon versucht. Ich werde jetzt mit Polizeikommissar Fuchs versuchen, zur anderen Seite des Zauns zu gelangen. Weitere Informationen folgen.“ Sie beendete das Gespräch und forderte Polizeikommissar Fuchs auf: „Ja, mein lieber Fuchs, dann wollen wir mal. Wie kommen wir da hin?“ Es war eine Gewohnheit von ihr, bei unangenehmen Aufgaben, wenn möglich, anderen den Vortritt zu lassen. Und Zäune überwinden war für sie eindeutig eine unangenehme Aufgabe. Polizeikommissar Fuchs schätzte die Möglichkeit, den Zaun zu überwinden, als ziemlich klein ein. Das Gebilde war fast zwei Meter hoch und hatte oben eine Reihe Stacheldraht. Zusätzlich machte die Konstruktion nicht den Eindruck, einen ausgewachsenen Mann ohne nachzugeben tragen zu können. Und die Aussicht, beim Überklettern hängenzubleiben und anschließend mitten zwischen Brombeeren und Teilen des Zaunes zu liegen, löste wenig Begeisterung aus.
„Ich glaube, wir versuchen mal, ob wir nicht irgendwo ein Tor oder sowas finden,“ sagte er, und lief den Weg entlang, der anscheinend ein Stück weiter am Ende des Zaunes nach links abbog. Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach entschied sich, beim Polizeiauto auf die Kollegen zu warten, die sie zur Verstärkung angefordert hatte. Polizeikommissar Fuchs erreichte das Ende des Zaunes, dort wo auch der Weg abbog. Er konnte jetzt erkennen, dass es etwas weiter ein Tor gab. Er lief darauf zu. Das Tor stand auf. „Schön, das ist einfacher,“ dachte er. Das Gelände hinter dem Zaun war verwildert. Ein großes Areal in der Mitte war mit Kies befestigt, allerdings zum Teil mit hohem Gras und kleinen Birken bewachsen. Weiter nach rechts stand ein Schuppen, der seine beste Zeit gehabt hatte. Die Fensterscheiben waren blind oder kaputt. Ein ausgeschlachtetes Auto stand davor.
Polizeikommissar Fuchs wandte sich in Richtung des Abschnittes vom Zaun, in dem das Loch sein musste. Die letzten Meter musste er durch Kraut und Brombeeren waten. Dann konnte er das Loch sehen und die Sachen, die davor lagen. Er konnte aber keine weiteren Gegenstände entdecken, und auch keine Person oder Personen. Was er aber beobachtete, war eine Spur durch die Brombeeren, die vom Zaun wegführte. Um sie nicht zu verwischen, zog er sich auf die kahle Fläche zurück. Da es keine Anzeichen gab, dass hier am Zaun eine Person liegen würde, wandte er sich zum Schuppen. Er musste sich vergewissern, ob es auf dem Gelände weitere Hinweise im Zusammenhang mit den Gegenständen am Zaun gab. Den Kleidungsstücken nach zu urteilen, müsste man zumindest mit einer weiblichen Person rechnen. Auf dem harten Untergrund waren keine Spuren zu sehen und es lagen keine weiteren Gegenstände auf dem Platz herum, die einen Hinweis geben konnten.
Der Schuppen hatte ein Doppeltor, das windschief in den Angeln hing. Der linke Flügel war so abgesackt, dass es nicht möglich war, ihn zu bewegen. Der rechte war etwas stabiler und eine Schleifspur im Boden verriet, dass er von Zeit zu Zeit bewegt worden war. Polizeikommissar Fuchs prüfte den Griff und das Holz daneben. Es gab keine Anzeichen von Blutanhaftungen oder anderen Spuren. Somit griff Polizeikommissar Fuchs die Kante des Tores mit beiden Händen und zerrte den Flügel nach außen. Die untere Kante grub eine Rille in den Boden und der Flügel wankte bei der Prozedur hin und her. Als sich ein Spalt gebildet hatte, der breit genug war, um eine Person durchzulassen, hörte Polizeikommissar Fuchs auf zu ziehen. Vorschriftsmäßig stellte er sich zuerst mit dem Rücken an den linken Flügel, um so vorsichtig um die Ecke lugen zu können. Seine rechte Hand lag auf dem Griff seiner Dienstwaffe. Aus der Scheune klang kein Geräusch nach draußen und es war auch nichts zu sehen, außer einem Holzstapel, der zum größten Teil mit einer Plane bedeckt war. Mehr konnte er nicht erkennen. Deshalb schob er sich durch den Eingangsspalt und stellte sich an der Innenseite vor den linken Flügel, um sich nicht als Silhouette gegen das Licht von draußen abzuzeichnen. Alles war ruhig, es herrschte eine vollkommene Stille. Langsam schob sich Polizeikommissar Fuchs zur Mitte des Raumes, nach allen Seiten horchend und schauend. So erreichte er das Ende des Schuppens, ohne irgendetwas Verdächtiges zu bemerken.
„Alles blinder Alarm!“, schallte es in seinem Rücken. Polizeikommissar Fuchs zuckte zusammen und fuhr herum. Da stand, im Gegenlicht als Silhouette klar zu erkennen, Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach und winkte ihm zu. „Sie können rauskommen, es hat sich erledigt.“
Polizeikommissar Fuchs lief zum Tor und schlüpfte nach draußen, wo Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach auf ihn wartete. „Alles erledigt. Wir haben es gefunden.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief in Richtung des Zaunes, dort hin, wo das Loch war. Polizeikommissar Fuchs folgte ihr. Was sollte er auch anderes tun. Wenn er erfahren wollte, was sich denn erledigt hatte, musste er sich wohl selber ein Bild machen. Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach bog vor dem Zaun nach rechts ab und ging schnurstracks auf ein dickes Betonrohr zu, das auf dem Schotterplatz lag. Die eine Öffnung zeigte zum Zaun, die andere zu einem Stapel Ziegelsteine. Somit war, aus der Perspektive der Beamten, die Öffnung nicht einsehbar. Zielstrebig steuerte Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach auf die Öffnung des Rohres zu, stillschweigend erwartend, dass Polizeikommissar Fuchs ihr nachlief. Das tat er auch, und so standen sie beide vor dem Rohr, als Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach eine hindeutende Geste machte. „Da ist es.“ Da Polizeikommissar Fuchs diese Auskunft etwas dürftig fand, bückte er sich, um in das Rohr hineinschauen zu können. Was er dort sah, verwirrte ihn. Er erkannte ein Bein, das allerdings merkwürdig schlaff erschien. Es trug einen mit Spitzen geschmückten langen Strumpf. Daneben war ein Rumpf zu sehen und dahinter ein Kopf. Der blickte starr nach oben und hatte einen großen, runden Mund mit dicken roten Lippen. Es war, bei genauer Betrachtung, kein menschlicher Körper, sondern eine kaputte Puppe, etwa lebensgroß und nur spärlich bekleidet. Zudem war der Körper ziemlich schlaff.
„Sexspielzeug,“ war Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbachs Kommentar. „Ich habe die Kollegen schon abbestellt.“ Sie wandte sich ab und fragte im Weggehen: “Und im Schuppen nichts zu sehen?“ Polizeikommissar Fuchs folgte ihr und bestätigte, dass es im Schuppen nichts zu sehen gab. Dass er dort eine sehr alte Harley-Davidson entdeckt hatte, brauchte sie ja nicht zu wissen.
„Nun, dann war’s das wohl,“, sagte Hauptkommissarin Juliane Pflaume-Pullenbach, „ich mache mich dann mal auf die Socken.“ Ohne sich um Polizeikommissar Fuchs zu kümmern, begab sie sich zum Auto. Polizeikommissar Fuchs schaute sich die Puppe noch einmal genauer an. Er fragte sich, wer die dort deponiert hatte und warum. Als er ebenfalls zum Auto lief, hatte Hauptkommissarin Pflaume-Pullenbach einen Vorsprung. Ohne auf ihn zu warten, stieg sie ein und fuhr davon. Zuerst wollte er hinterherlaufen und sie zum Umkehren bewegen. Dann aber fiel ihm die Harley-Davidson wieder ein. Erwartungsvoll lief er zurück zur Scheune. Da musste er Genaueres wissen.