Danke, danke, mir geht es gut. Ich gehöre zur Risikogruppe. Endlich gehöre ich mal zu einer relevanten Gruppe, wenn auch nicht systemrelevant. Allerdings hat sich das in meinem Leben nicht großartig bemerkbar gemacht. Hier in der Krummhörn scheint das Virus sich nicht wohlzufühlen. Das ist ein großer Vorteil. Das macht mich aber nicht übermütig und unvorsichtig. Mit den bekannten Regeln lässt es sich gut leben.
Darum ist hier auch die Hysterie mancher Gruppierungen nicht relevant. Es gibt weder Demos für mehr Kontrolle noch für mehr Freiheiten. Die meisten Menschen gehen das Problem pragmatisch an.
Was mich bei der ganzen Aufregung am meisten erstaunt, ist die Vermischung des Corona-Problems mit sämtlichen anderen gesellschaftlichen Problemen. Plötzlich bemerken Hans und Franz, dass es einiges gibt, dass zum Himmel stinkt. Nehmen wir einmal die Bildung:
Wer nicht völlig blind war, muss mitbekommen haben, dass in den letzten Jahrzehnten Berichte und Studien immer wieder zu dem Schluss kamen, dass das Bildungssystem ungerecht ist. Mit demselben Regelmaß wurde auf die Vernachlässigung der schulischen Infrastruktur hingewiesen. Und gebetsmühlenartig beteten die Politiker uns vor, dass man daran was ändern müsse. Nun ist Geld zwar nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts. Marode Schulgebäude lassen sich nun einmal nur mit Geld sanieren, die Ausstattung mit Lernmitteln (Computern) dem Weihnachtsmann oder den Eltern zu überlassen, ist auch nicht zielführend.
Wie gesagt, das alles ist schon seit Jahrzehnten bekannt. Und immer hieß es, dass das Geld knapp sei, dass man keine Schulden machen darf, dass man erst noch eine Kommission einsetzen wolle, um eine einheitliche Lösung zu finden...
Und dann kommt "Karola", wie ein Kind die Epidemie nannte, und plötzlich sprudeln die Milliarden. Allerdings vor allem für Großkonzerne. Und plötzlich wird klar, dass die Verantwortlichen kein Konzept haben. In aller Eile muss nach Wegen gesucht werden, wie die Schulen zumindest vorerst so ausgestattet werden können, dass ein halbwegs normaler Betrieb möglich ist.
Und da schlägt dann die typische deutsche Eigenart voll zu Buche:
Die Deutschen suchen nach Problemen, anstatt nach Lösungen.
Eine Analyse eines Problems ist sicher nicht verkehrt, aber ich bekomme den Eindruck, dass in Deutschland mit masochistischem Vergnügen nach Hemmnissen, Gefahren, Beschwerden und "Ja-Abern" gesucht wird. Anderswo wird innerhalb von zwei Wochen eine Klinik hochgezogen und in Betrieb genommen, hier hat man sich vielleicht nach zehn Jahren dazu durchgerungen, mit dem Bau zu beginnen. Nun weiß ich auch, dass das andere Extrem nicht ohne weiteres nachahmenswert ist, aber es verdeutlicht, wo der Schuh drückt.
Es würde schon viel helfen, wenn man die Probleme nicht einfach aussitzt oder so handelt wie die drei Äffchen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, bis es gar nicht mehr anders geht. In vielen Bereichen scheint die Angst vorzuherrschen, man trete irgendeinen Protest (heute Shitstorm genannnt) los, wenn man ein Problem benennt.
Die zweite Eigenschaft der Deutschen:
Sie sitzen ein Problem erst einmal aus, solange es gelingt, aktives Eingreifen durch Abwiegeln zu vermeiden.
Eine logische Folge von der Eigenart, Probleme möglichst lange auszublenden: Es staut sich allerhand an, und irgendwann muss Dampf aus dem Kessel. Somit sind die Ausschläge heftig. Das macht die nüchterne Erörterung von Lösungen schwer. Eine pragmatische Herangehensweise wäre vielversprechender.
Die dritte Eigenschaft der Deutschen:
Sie schwenken von der Lethargie in ungeahnter Eile um auf hemmungslose Hektik, während das Vorgehen dann als "alternativlos" dargestellt wird.
Sowohl Merkels Umschwung zum Atomausstieg als auch ihr "Wir schaffen das" sind beispielhaft.
Die vierte Eigenschaft:
Überspitzt kann man sagen, dass hierzulande alles verboten ist, das nicht ausdrücklich erlaubt ist. In den Niederlanden ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Das hängt mit der Eigenschaft zusammen, überall Probleme zu sehen. Wenn alles bis ins Kleinste geregelt wird, fällt die Kreativität flach.
Und da ist dann noch das fünfte Problem, das der Obrigkeitshörigkeit, das immer noch fest verankert ist im hierarchisch aufgebauten System der Behörden. Vielerorts scheint die Befürchtung, man verliere an Autorität, wenn es die Distanz bei der Ausübung einer Funktion nicht gäbe. "Vorgesetzte(r)" ist ein sehr typisch deutsches Wort. Man bekommt jemanden "vorgesetzt". Teamarbeit erwartet man da eher nicht. Das Muster aus alten Zeiten verleiht "Respekt" aufgrund einer Position oder eines Titels, nicht aufgrund von Qualität bei der Amtsführung. Wer Angst hat, beim "Duzen" verliere man an Autorität, hat keine.
Ich weiß, ich weiß, alles pauschal. "Die" Deutschen gibt es nicht. Und ja, es gibt auch vieles, das Hoffnung macht. Bei der Jugend gibt es durchaus ein Gespür für die Verantwortung, die die Menschen für ein gedeihliches Zusammenleben haben. Aber ist es nicht symptomatisch, dass es Schulkinder sind, die die Politik wachrütteln?
Lasst uns doch einfach die Probleme mal anpacken. Lösungen suchen, keine Probleme. Diskutieren, ja. Aber über Lösungen. Und vor allem:
Agieren statt reagieren.
Versprochen?
Versprochen.